Soziale Spaltung der Bevölkerung durch Pandemie
Vom: 27. Juli 2021
Verstärkung der sozialen Spaltung der Bevölkerung durch die COVID-19-Pandemie. Unterstützung kommunaler Akteure jetzt besonders wichtig.
Die COVID-19-Pandemie und der damit verbundene Lockdown verstärken eine soziale Spaltung der Gesellschaft1. Während des Lockdowns wurden hinsichtlich Bewegungs- und Ernährungsverhalten sowie Tabak- und Alkoholkonsum sowohl positive als auch negative Verhaltensänderungen beobachtet, die teilweiße in Abhängigkeit von bestimmten Bevölkerungsgruppen stehen2. Die alltägliche Lebenssituation vor allem sozial benachteiligter Menschen beeinflussen die Einschränkungen infolge des Lockdowns besonders stark. Mit Blick auf die Gesundheitsziele des Landes zum Ernährungs- und Bewegungsverhalten bzw. Suchtkonsum wird dies deutlich:
Ernährung: Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 entfiel für etwa drei Millionen Kinder im Rechtskreis des Bildungs- und Teilhabepakets plötzlich das kostenlose Mittagessen ohne jeglichen Ersatz3. Die Schließung von Tafeln erschwerte die Versorgung der sozial schwachen Bevölkerung mit einer täglichen warmen Mahlzeit zusätzlich. Mittlerweile ist es einigen Tafeln gelungen, durch Lebensmittelauslieferungen oder -ausgaben im Freien unter Anpassung der Hygienemaßnahmen einen Teil der Bevölkerung zu versorgen. Gleichzeitig stellen Verlängerungen der Öffnungszeiten und der Rückgang ehrenamtlicher Helfer aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Corona-Risikogruppe aber weiterhin Herausforderungen dar4.
Bewegung: Durch den Ausfall öffentlicher Sport- und Freizeitangebote fehlen Anreize zu gesundheitsbewusstem Verhalten in der Freizeit1,5. Bei vollkommener Inaktivität über drei Wochen reduziert sich die Muskelkraft bereits um die Hälfte und die Ausdauerfähigkeit nimmt stark ab5. Aus diesem Grund müssen insbesondere für sportlich inaktive Familien und sportdistanzierte Kinder Alternativen geschaffen werden, die sie trotz der fehlenden Sportgemeinschaft zur Bewegung motivieren. Hier können digitale Angebote oder die Gestaltung öffentlicher Plätze geeignete Ansätze sein, die auf individuelle Bedürfnisse abgestimmt werden müssen5.
Sucht: Die DAK-Studie dokumentiert den Anstieg der digitalen Mediennutzung bei Kindern, Jugendlichen und deren Eltern während des Lockdowns im April 2020 im Vergleich zu September 2019. Dieser lässt sich v.a. auf Belastungen durch soziale Isolation zurückführen. So verbrachten 2020 im April 54,3% der befragten Kinder und Jugendlichen täglich Zeit mit digitalen Spielen, im September 2019 waren es nur 39,8%. Im September 2019 nutzten 66 % der befragten Kinder und Jugendlichen täglich soziale Medien, im April 2020 stieg der Anteil auf 75,1 %. Gleichzeitig erhöhte sich die tägliche Gesamtnutzungszeit. 6.
Insgesamt ist festzustellen, dass sozial benachteiligte Menschen unter besonderen psychischen Belastungen leiden. Abgesehen von direkten Gefahren der COVID-19-Pandemie wirkt sich der Lockdown auf die finanzielle Situation von sozial schwachen Gruppen aus. Steigende Armutszahlen einschließlich einer zunehmenden Kinderarmut werden aufgrund der Corona-Pandemie erwartet3. Durch die Schließung öffentlicher Unterstützungseinrichtungen wie Tafeln, Obdachlosenunterkünfte und Kinderbetreuungen sind sozial schwache Familien auf sich alleine gestellt7. Weiterhin erschwert die Verlagerung des Alltags in die digitale Welt die Erreichbarkeit und soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Besonders stark leiden Kinder sozial benachteiligter Familien unter den pandemiebedingten Einschränkungen, weil für sie v.a. die Teilnahme am digitalen Schulunterricht aufgrund mangelnder technischer Ausstattung häufig eine Herausforderung darstellt8. Außerdem fehlen ihnen neben dem Austausch mit Gleichaltrigen Unterstützungsmöglichkeiten beim Homeschooling1,3. Im Rahmen der bundesweiten COPSY-Studie, die psychische Gesundheit und Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen während der COVID-19-Pandemie untersucht, wurden größere psychische Belastungen durch die Pandemie und eine niedrigere Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien festgestellt9. Begrenzte Bewältigungsstrategien für den Umgang mit psychischen Belastungen in Folge des Kontaktverbots und der pandemiebedingten Isolation können sich wiederum auf das COVID-19-Erkrankungsrisko auswirken10.
Menschen mit niedrigem Sozialstatus, beispielsweise Arbeitslose, haben ein größeres Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion sowie für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf3, was auf Risikofaktoren wie Herz-Kreislauf-, Atemwegs- oder Lebererkrankungen sowie Diabetes mellitus beruht, welche insbesondere bei Menschen bestimmter sozioökonomischer Gruppen vermehrt auftreten7,11. Auch einfache Arbeits- und Wohnbedingungen sowie mangelnde Hygiene erhöhen das Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion7,10,11
Die beschriebenen Entwicklungen stellen eine besondere Herausforderung dar. Gerade jetzt ist es umso wichtiger, Menschen mit niedrigem Sozialstatus zu erreichen, sie unter Einbindung von Kommunalakteur*innen zu unterstützen und ihre Handlungsmöglichkeiten im Sinne eines gesundheitsbewussten Verhaltens zu fördern.
(Literatur beim Verfasser)
Paulina Roth
1 vgl. Voss A, Kasberg A, Schäuble B, Völter B, Bär G, Piechotta-Henze G, Höppner H, Geene R, Rätz R, Hansjürgens R, Dennhardt S, Gerull S, Köbsell S, Eichinger U: SAGE-Wissenschaftler_innen in gesellschaftlicher Verantwortung. Eine Stellungnahme zur Corona-Pandemie und ihren Folgen, Berlin: Alice Salomon Hochschule Berlin Mai 2020.
2 vgl. Jordan S, Starker A, Krug S, Manz K, Moosburger R, Schienkiewitz A, Varnaccia G, Zeiher J, Wachtler B, Loss J: Gesundheitsverhalten und COVID-19: Erste Erkenntnisse zur Pandemie, in: Journal of Health Monitoring, Bd. 5, Nr. 8, 2020, S. 2-16.
3 vgl. Klundt M: Soziale Spaltung und Corona-Kapitalismus. Kontexte für Kinderrechte und (Kinder-)Armut, in: Sozial Extra, Bd. 45, Nr. 1, 2021, S. 13-18.
4 vgl. Tafel Deutschland e.V. (Hrsg.): Tafeln arbeiten im Lockdown unter erschwerten Bedingungen. Appell an Politik: arme Menschen und Tafeln unterstützen, Berlin, November 2020, https://www.tafel.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2020/tafeln-arbeiten-im-lockdown-unter-erschwerten-bedingungen/ zuletzt abgerufen: 12.02.2021 10.50 Uhr.
5 vgl. Kauer-Berk O, Burrmann U, Derecik A, Gieß-Stüber P, Kuhlmann D, Neuber N, Richartz A, Rulofs B, Süßenbach J, Sygusch R: Das Virus, der Sport und die Herausforderungen. Fragen an die Wissenschaft, in: Forum Kind Jugend Sport, Bd. 1, 2020, S. 100-109.
6 vgl. DAK-Gesundheit (Hrsg.): Mediensucht 2020 – Gaming und Social Media in Zeiten von Corona. DAK-Längsschnittstudie: Befragung von Kindern, Jugendlichen (12-17 Jahre) und deren Eltern, Hamburg, Juli 2020.
7 vgl. Butterwegge C: Das neuartige Virus trifft auf die alten Verteilungsmechanismen: Warum die COVID-19-Pandemie zu mehr sozialer Ungleichheit führt, in: Wirtschaftsdienst, Bd. 101, Nr. 1, 2021, S. 11-14.
8 vgl. Butterwegge C: Kinderarmut in Deutschland. Entstehungsursachen und Gegenmaßnahmen, in: Sozial Extra, Bd. 45, Nr. 1 ,2021, S. 19-23.
9 vgl. Ravens-Sieberer U, Kaman A, Otto C, Adedeji A, Devine J, Erhart M, Napp AK, Becker M, Blanck-Stellmacher U, Löffler C, Schlack R, Hurrelmann K: Psychische Gesundheit und Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen während der COVID-19-Pandemie. Deutsches Ärzteblatt, Bd. 117, Nr. 48, 2020, S. 828-829.
10 vgl. Wachtler B, Michalski N, Nowossadeck E, Diercke M, Wahrendorf M, Santos-Hövener C, Lampert T, Hoebel J: Sozioökonomische Ungleichheit im Infektionsrisiko mit SARS-CoV-2 – Erste Ergebnisse einer Analyse der Meldedaten für Deutschland. Journal of Health Monitoring, Bd. 5, Nr. 7,2020, S. 19-31.
11 vgl. Wachtler B, Michalski N, Nowossadeck E, Diercke M, Wahrendorf M, Santos-Hövener C, Lampert T, Hoebel J: Sozioökonomische Ungleichheit und COVID-19 – Eine Übersicht über den internationalen Forschungsstand, in: Journal of Health Monitoring, Bd. 5, Nr. 7, 2020, S. 3-18.